Urteil des Europäischen Gerichtshofs zum Widerruf von Immobiliendarlehen – „Widerrufsjoker“ oder Schüren von falschen Hoffnungen?

Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 26.03.2020 zum Widerruf von Immobiliendarlehen hat sofort zu reißerischen Schlagzeilen geführt und dafür gesorgt, dass die Trefferliste bei Google mit Werbung diverser Anwaltskanzleien gefüllt wurde. Bevor man jedoch den Schlagzeilen glaubt und seinen Darlehensvertrag vorschnell widerruft, sollte man die EuGH-Entscheidung einmal genauer betrachten, um Fehleinschätzungen vorzubeugen.

In dem von dem EuGH entschiedenen Fall ging es um Widerrufsinformationen nach dem gesetzlichen Muster des EGBGB in der Fassung vom 30.07.2010 bis 03.08.2011 und vom 04.08.2011 bis 12.06.2014. Dort findet sich ein sogenannter „Kaskadenverweis“, wonach der Darlehensnehmer den Vertrag widerrufen kann, nachdem er „alle Pflichtangaben nach § 492 Abs. 2 BGB...erhalten hat“. Jedoch findet man in den § 492 Abs. 2 BGB die Pflichtangaben nicht, sondern man wird auf einen weiteren Artikel, nämlich 247 §§ 6 bis 13 EGBGB verwiesen. Erst nach einer intensiven Lektüre der dortigen Normen ist man überhaupt in der Lage, seinen Darlehensvertrag zu überprüfen, ob dieser alle gesetzlichen Pflichtangaben enthält.

Eine solche Verweisungskette des Gesetzgebers auf diverse Paragrafen stellt natürlich einen suboptimalen Verbraucherschutz dar, denn der juristische Laie wird ohne eingehendes Studium des Gesetzes nicht herausfinden können, ob sein Darlehensvertrag widerrufsfest ist oder nicht. Daher ist eine solche Verweiskette mit zahlreichen Paragrafen keine Widerrufsinformation in klarer und prägnanter Form, wie sie die EU-Verbraucherkreditrichtlinie fordert. Deshalb hat der EuGH mit seinem Urteil vom 26.03.2020 den vom deutschen Gesetzgeber eingeführten „Kaskadenverweis“ auch als unzulässig beanstandet.

Nun machen es sich viele Medien und einige Anwaltskollegen aber zu leicht, wenn sie behaupten, dass der nachträgliche Widerruf von Darlehensverträgen nach dem Urteil des EuGH nun „problemlos“ möglich sei. Denn die Widerrufsinformation mit dem beanstandeten „Kaskadenverweis“ ist keine Erfindung der Kreditwirtschaft, sondern die vom Gesetzgeber gewollte Widerrufsinformation mit Gesetzeskraft. Soweit die Kreditwirtschaft diese gesetzliche Vorgabe 1:1 übernommen hat, ist sie nur dem Gesetz gefolgt und hat sich gesetzeskonform verhalten. Die Kreditwirtschaft kann sich demnach, wenn sie der gesetzlichen Form folgt, auf Vertrauensschutz in die gesetzgeberischen Vorgaben berufen.

Wird also das gesetzliche Muster der Widerrufsinformation 1:1 umgesetzt, kann nicht nachträglich widerrufen werden, auch wenn die gesetzlichen Formulierungen inhaltlich unzureichend sind. Das hat der Bundesgerichtshof (BGH) bereits mit Beschlüssen vom 19.03.2019 (Aktenzeichen XI ZR 44/18) und vom (02.04.2019 – Aktenzeichen XI ZR 488/17) klar festgestellt und sich dagegen ausgesprochen, zum „Kaskadenverweis“ den EuGH überhaupt anzurufen. Er hat geurteilt, dass sich deutsche Gerichte nicht über die Widerrufskonzeption des deutschen Gesetzgebers hinwegsetzen dürfen und gegen das Gesetz urteilen dürfen. Der deutsche Gesetzgeber habe seinen Willen eindeutig in Form der Widerrufsinformation formuliert, dass eine entgegenstehende, richtlinienkonforme Auslegung nicht in Frage käme. Hinzu kommt, was auch der EuGH in seiner Entscheidung nicht in Abrede gestellt hat, dass Immobiliendarlehen von der EU-Verbraucherkreditrichtlinie gar nicht mitumfasst werden und seine Entscheidung mithin zu Immobiliendarlehen von vornherein keine Wirkung entfaltet. 

Wenig Chancen gibt es auch für den nachträglichen Widerruf von Autofinanzierungen, deren Widerrufsinformation den „Kaskadenverweis“ enthält. Diese fallen zwar, anders als Immobilienfinanzierungen, unter die EU-Verbraucherkreditrichtlinie. Jedoch hat sich der BGH zu diesem Thema eindeutig positioniert und betont, dass er sich nicht über den eindeutigen Willen des Gesetzgebers hinwegsetzen will, so dass es im Ergebnis wenig Anlass zu der Hoffnung gibt, dass die aktuelle EuGH-Entscheidung zu einem Umdenken führt. Denn der BGH hat bereits entschieden, dass selbst dann, wenn die gesetzliche Regelung nicht richtlinienkonform ist, die deutschen Gerichte an deutsches Recht gebunden bleiben.

Man mag sich daher fragen, warum das LG Saarbrücken trotz der entgegenstehenden und eindeutigen Rechtsprechung des BGH den EuGH angerufen hat? Letztlich hat das LG Saarbrücken den EuGH unter zweifachem Verstoß gegen ständige BGH-Rechtsprechung angerufen, sodass das Urteil des EuGH eigentlich gar nicht hätte erlassen werden dürfen. Darüber hinaus wird das Urteil dem Verbraucher auch nicht viel nützen, da alle Gerichte an die Rechtsprechung des BGH gebunden sind und sich nicht gegen nach Meinung des BGH eindeutige, gesetzliche Regelungen stellen dürfen. Auch die Aussage des EuGH, der deutsche Gesetzgeber habe eine Richtlinie nicht richtig umgesetzt, führt im Individualverfahren nicht zu einem Vorteil. Der Darlehensnehmer müsste sich vielmehr mit einem Staatshaftungsanspruch an den Gesetzgeber wenden, wenn er meint, durch falsche Richtlinienumsetzung benachteiligt worden zu sein.

Nach dem Urteil des EuGH liegt der ursprüngliche Rechtsstreit wieder beim LG Saarbrücken. Das dort zu fällende Urteil wird aller Wahrscheinlichkeit nach von einem der beiden Parteien nicht akzeptiert, so dass das Verfahren letztendlich per Revision vom BGH entschieden wird. Bis dahin ist ungewiss, wie sich die Banken und Sparkassen bei einem Widerruf verhalten. Es ist jedoch nicht davon auszugehen, dass Sie in Anbetracht der beschriebenen Pattsituation nicht allzu schnell klein beigegeben werden, daher ist der Widerruf auch nach der Entscheidung des EuGH kein Selbstläufer, sondern sollte sorgfältig bedacht werden.

Wenn man dennoch beabsichtigt, jetzt ein Immobiliendarlehen zu widerrufen, sollten folgende Punkte vor dem Widerruf geklärt sein:

  • Der Darlehensvertrag wurde zwischen dem 11.06.2010 und dem 20.03.2016 abgeschlossen. Andernfalls ist das Widerrufsrecht wahrscheinlich schon erloschen.
  • Der Darlehensvertrag enthält eine Widerrufsbelehrung mit der Formulierung, dass die Widerrufsfrist nach Abschluss des Vertrages, aber erst, nachdem der Darlehensnehmer alle Pflichtangaben nach § 492 Abs. 2 BGB erhalten hat zu laufen beginnt.
  • Der Darlehensvertrag wurde nicht schon einmal widerrufen.
  • Für den Fall, dass die Bank den Widerruf doch akzeptiert, ist eine Anschlussfinanzierung gesichert, da die Bank bei erfolgtem Widerruf innerhalb von 30 Tagen die Restschuld zurückfordern kann.

Nur wenn die vorstehenden Punkte bejaht werden können, sollte man sich mit dem Widerruf des Darlehensvertrages eingehender befassen. Aufgrund der nicht einfachen Rechtslage und der damit verbundenen Risiken sollte man sich jedoch seriös beraten lassen und nicht vorschnell ein paar Schlagzeilen glauben.

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